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Tokio Hotel in Frankreich Bill, mon amour

Die Fans wollen schöner kreischen, am besten auf Deutsch. Tokio Hotel räumt jetzt auch in Frankreich ab und verschafft dem Goethe-Institut in Paris neue Sprachschüler. Dort fragen Jugendliche nach Songtexten, die auch im Unterricht übersetzt werden.
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Was werden sie machen, die Teenies von Paris und Nancy? Kreischen? Sicherlich. Mitsingen? Schon schwieriger. Deutsch hat in Frankreich in den vergangenen Jahren deutlich an Stellenwert verloren. Die zwei französischen Auftritte von Tokio Hotel am Dienstag und Mittwoch dürften deshalb sprachlich zur echten Hürde werden. Die Refrainzeile "übers Ende dieser Welt" aus dem gleichnamigen Hit geht zwar noch sanft über die weiche Laute gewohnten französischen Lippen. Aber was mit dem "h" in der Textzeile "Wir ham alles ausprobiert" machen? Seit Tokio Hotel im Nachbarland in die Charts eingestiegen sind, scheinen sich das dort zunehmend Heranwachsende zu fragen.

Sabine Belz, Leiterin des Goethe-Instituts in Paris, wartet schon gespannt auf die Rückkoppelung aus dem im Parc de la Vilette gelegenen Zenith. In der Halle mit ihren knapp 6000 Plätzen wird die Gruppe am Dienstagabend den ersten ihrer zwei Frankreich-Auftritte haben. Falls sich danach fortsetzt, was sich schon seit Wochen andeutet, müssen Belz und ihre Kollegen im Sommer deutlich mehr Deutschkurse als üblich anbieten.

"Man merkt schon jetzt, dass Tokio Hotel bei uns einen Effekt hat", sagt Belz. Viele Schüler hätten sich vor dem Konzert gemeldet und nach den Songtexten gefragt. "Das ist ein neuer Zugang zur deutschen Sprache." Das Institut habe sich entsprechend gewappnet und die Lehrer mit Texten ausgestattet.

Auf Platz zwölf der französischen Charts

Obwohl sie bislang fast ausschließlich auf Deutsch sangen - ein englischsprachiges Album ist in der Mache - sind die Lieder von Tokio Hotel auch in Frankreich ein Abräumer. Ihr erstes Album "Schrei" schaffte es 2005 bis auf Platz zwölf der Charts, in diesem Februar reichten die Verkaufszahlen von "Schrei" für die Band um die Zwillinge Bill und Tom Kaulitz zur Goldenen Schallplatte. Die aktuelle Scheibe "Zimmer 483" schoss sogar eine Woche nach Veröffentlichung bis auf Platz zwei in der französischen Hitparade nach oben. Einen ähnlichen Erfolg hatte als deutsche Band in jüngerer Zeit in Frankreich nur Rammstein.

Die von geschickten Marketingstrategen begleiteten Jungstars haben auf das Interesse reagiert: Die Homepage  gibt es zwar nicht auf Englisch. Dafür können User auf eine französische Version wechseln, die seit ein paar Tagen auch optisch mit der deutschen Variante identisch ist. Und immer mal wieder kommt die Band auch zu Fernsehauftritten nach Frankreich. Der Effekt ist dort ähnlich wie beim jüngsten "Wetten, dass...?"-Auftritt der vier: Das Kreischen der Mädchen verschafft dem Moderator eine lange Verschnaufpause.

Über ihre Musik gelingt Tokio Hotel damit scheinbar spielend leicht eine Begeisterung auch fürs Deutsche, für die die Politik enorme Kraftanstrengungen und Millionensummen benötigt hat. Denn seit Anfang der neunziger Jahre war die Zahl der Deutschlernenden in Frankreich fünfzehn Jahre lang in Folge immer weiter zurückgegangen.

Musik aus Deutschland zieht

Erst nach einer im Oktober 2004 gestarteten offiziellen Initiative des deutsch-französischen Ministerrates hat sich der Trend gedreht: Besonders bei den Grundschülern machte die Zahl derer, die Deutsch lernen, mit einem Plus um 25 Prozent einen Sprung. Bei den Siebtklässlern erhöhte sie sich um neun Prozent.

Das Pariser Goethe-Institut wird laut Belz in ein paar Monaten einen genauen Blick auf die Zahlen der Kursbesucher werfen um zu schauen, wie sich der Tokio-Hotel-Effekt dann letztlich in den Buchungen niedergeschlagen hat. Die deutsche Kulturvertretung im Ausland stellte aber auch schon vor der Teenager-Band fest, dass Musik Made in Germany derzeit zieht. Ein DJ-Programm im vergangenen Jahr, das auch in Spanien und Portugal stattfand, sei ein großer Erfolg gewesen.

Für manchen Lehrer, der schon seit Jahren unterrichtet, seien die Klänge allerdings noch immer sehr gewöhnungsbedürftig. "Trotzdem müssen wir uns immer wieder um die jungen Schüler bemühen", sagt Belz. Und so wie früher beim Englischlernen die Beatles im Unterricht besprochen wurden, gehöre nun Tokio Hotel zum Deutschlernen.

Ralf Isermann, AFP

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